Sola Scriptura - Allein die Schrift (25.8.2013)

 

Sola Scriptura- Allein die Schrift
Lektorin Renate Kux

Liebe Gemeinde,
wenn ich jetzt durch die Reihen ginge und Sie fragen würde: „Was hoffen Sie?“ Oder bei Ihnen dort vorne fragen würde: „Was glauben Sie?“ Was würden Sie antworten? Wie ginge es Ihnen damit?

Würde Ihnen sofort eine Antwort einfallen? Die Piraten behaupten, „wer nicht alles weiss, muss alles glauben“. Ob sie wohl selbst wissen was sie behaupten – und welchen Glauben meinen sie? -.
Es ist schwierig, ich gebe es zu. Mir geht es vermutlich so wie Ihnen.

Der Predigttext aus dem 1. Petrusbrief 3, 15b, „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“ Dieser Text fordert uns heraus, Verantwortung für unseren Glauben zu übernehmen, zu sagen, was wir hoffen.

Mit Blick auf das anstehende Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wird das auf ganz eigene Weise erwartet. Es wird erwartet, was wir unter einem evangelischen Profil verstehen.

Was ist eigentlich evangelisch?
Worin sind wir evangelische Christen unverwechselbar und originell? Oder neuzeitlich gefragt: „Welches Alleinstellungsmerkmal haben wir Evangelischen?“

Wir haben es eben in der Lesung gehört, der Predigttext im ersten Petrusbrief fordert uns heraus, Verantwortung für unseren Glauben zu übernehmen, zu sagen, was wir hoffen.

Die Orthodoxen haben ihre Ikonenwände. Die Katholiken haben ihre Marienbilder und den Papst. Die Pfingstler haben ihr Zungenreden. Die Muslime haben ihre Gebetsteppiche. Die Juden haben ihre Thorarollen. Was aber haben wir Evangelischen Besonderes? Nichts! Oder doch?

Wir haben die Bibel! Sola scriptura. - Aber auch die anderen Christen haben doch die Bibel und lesen sie. Wir haben die Kanzel und die Predigt! - Aber heute gibt es auch Kanzeln und Predigten in katholischen und orthodoxen Kirchen. - Wir haben die Rechtfertigungslehre! -

Aber sie ist doch 1999 auch von den Katholiken anerkannt worden. -  Scheinbar bleibt uns nicht viel. Lutherlieder sind auch im Gotteslob und die reformierten Geschwister mögen Luther nicht, sie haben ihren Calvin. Wir haben den Abendmahlskelch für alle. Aber der darf auch bei den Katholischen benutzt werden.

Wir haben den schwarzen Talar, den jedoch tragen auch jüdische Rabbiner und im weltlichen Bereich Richter und Staatsanwälte. Wir haben – wie die Altkatholiken Pfarrerinnen.

Wo ist das Besondere was wir haben?

Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Wir Evangelischen haben nichts Originelles, Einzigartiges, Unverwechselbares, kein Alleinstellungsmerkmal. Alles, worauf wir stolz sein können, haben die anderen Christen inzwischen auch.

Wir definieren uns durch den Mangel an etwas Besonderem; wir haben vieles nicht, was die anderen Christen haben: Wir haben keinen Papst, keine Patriarchaten, keine Ikonen, keine Heiligen, keine Klöster, keinen Weihrauch, kein Weihwasser, keinen Ablass, keinen Zölibat, keine Reliquien, keine Wallfahrten und keine Fastenzeiten.

Wir haben nichts Besonderes; das ist unsere Schwäche. Ist diese Schwäche nicht vielleicht auch eine Stärke?

Insgesamt stehen die Evangelischen im Land, ob lutherische, reformiert oder freikirchlich vor der Frage, was das evangelische Profil sei. Wie können wir verantwortlich heute Rechenschaft geben von unserm Glauben, von unserer Hoffnung?

Uns stellt sich auch die Frage nach der Ökumene: Feiern wir eine Spaltung oder eine Geschichte des Zugewinns an Freiheit? Sind die Trennungen des 16. Jahrhunderts noch relevant? Was ist denn evangelisches Profil?

Rechenschaft von der Hoffnung geben, das war zentrales Anliegen Martin Luthers. Er hat eine große innere Freiheit erfahren, als ihm klar wurde, dass weder Papst noch Kaiser, weder Sünde noch Gesetze ihn von Gott trennen können. Gott ist schon da, seine Hand ist schon ausgestreckt.

Von der Bibel her konnte Luther dieses Gottesverständnis für sich begreifen. Deshalb ist für die Evangelischen das „sola scriptura“, die Schrift allein, von so zentraler Bedeutung.
Es geht Martin Luther darum, nicht einen von der Kirche in Bahnen und Dogmen gelenkten Glauben zu übernehmen, sondern die Menschen mündig werden zu lassen.

„Sola Fide“ – allein aus Glauben: mein Leben findet nicht Sinn, indem ich versuche, vor den Maßstäben dieser Zeit zu bestehen. Sondern es ist geschenkt, der Sinn ist mir schon zugesagt. In der Sprache der Finanzwelt dieser Zeit: Unser Lebenskonto ist schon in den schwarzen Zahlen; Gott hat für uns eingezahlt. Nichts was wir sagen oder tun, kann es in die „Miesen“ bringen. Der wertvollste Gewinn ist mit Geld nicht zu haben. Er wird uns geschenkt: mit Gottes „Ja“.

„Solus Christus“ – an ihm entscheidet sich mein Leben. Christus  ist der Maßstab. Mit dem Blick auf das Kreuz finde ich meine Lebensorientierung.

Wir sollen nicht denken, dass alles durch Luther bewirkt wurde. Die Reformation war eine Bewegung, die viele Jahrzehnte umfasste, aber 1517 ist ihr Symboldatum. Die Reformation wurde von vielen Menschen in Gang gesetzt, doch Martin Luther ist die Symbolfigur.

Luther hat deutlich gemacht: Die Freiheit, von der er spricht, berührt zuallererst Glaubensfragen, jeder Zwang wird hier abgewehrt. Daraus entsteht die Freiheit des Gewissens, die sich dann als verantwortliche Freiheit im persönlichen und öffentlichen Leben umsetzt. Es war auch die Freiheit, sich ehelich zu binden. Zölibatäres Leben galt als vor Gott angesehener, der gerade Weg zum Himmel sozusagen. Als Martin Luther Katharina von Bora heiratete, war es ein Zeichen, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern ein von Gott gesegnetes Leben ist. Für viele Reformatoren war der Schritt zur Ehe ein Signal. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern und Mönchen und Nonnen, war ein theologisches Signal.

Die Freiheit, eine Priesterehe einzugehen sah Luther von der Bibel, auch hier wieder, allein die Schrift. Durch den Titusbrief sieht er die Priesterehe als legitimiert an.

Es hat um die Priesterehe viele Debatten gegeben, sie zeigen: Freiheit im evangelischen Sinne ist nie der Libertinismus, mit dem Freiheit heute oft verwechselt wird nach dem Motto: alles egal. Sie ist nie eine Banalisierung von Werten und Standpunkten nach dem Motto: „Soll jeder machen was er will!“ Nein, es geht um Verantwortung und um Bindung an Gottes Wort. Freiheit im evangelischen Sinn ist deshalb auch nie liberal. Sie weiß sich bezogen auf die Gemeinschaft. Zölibatsbrüche hat es in jener Zeit viele gegeben. Und so war die Ehe ein Schritt in eine ernsthafte verantwortliche Verbindung.

Es ist wie so oft in der Geschichte: die Männer werden gesehen, gehört, gelesen. Ohne die Frauen im Hintergrund aber, könnten Sie gar nicht agieren. Und gerade die Kirchen in aller Welt leben davon, dass Frauen sie tragen, den Glauben weitergeben an die nachwachsende Generation. Von allen Frauen der Reformation ist Katharina von Bora die bekannteste. Wir wissen einiges von ihr, eine starke und mutige Frau war sie, in Torgau der ersten Station nach der Flucht aus dem Zisterzienserinnenkloster und dem Ort, an dem Katharina starb, bewahren sie ihr Erbe. Das ist wichtig. Denn wenn wir nach „typisch evangelisch“ fragen, spielen Frauen eine entscheidende Rolle. Wir denken dann an die Pfarrerinnen, die den gleichen Status haben wie die Pfarrer.

Es hat allerdings noch ein paar Jahrhunderte gedauert, bis die Kirche der Reformation begriffen hat, was Priestertum aller Getauften meint. Nämlich, dass Frauen auch de facto Pfarrerin und Bischöfin werden können. Aber wie sagten die Reformatoren: Die Kirche der Reformation muss sich beständig weiter reformieren. Heute ist jedenfalls Kennzeichen der evangelischen Kirche fast überall auf der Welt bis auf wenige Ausnahmen, dass Frauen Pfarrerin sein können und auch Bischöfin. Wer das Ringen in manchen Kirchen und Ländern sieht und liest kann eigentlich nur sagen: schaut noch einmal auf die Reformation und gebt Rechenschaft von der Hoffnung, die sie bewegt hat.

Rechenschaft von der Hoffnung heißt also: im Alltag unseren Glauben leben. Da wo wir stehen, da wo Gott uns hingestellt hat, als Mann oder Frau, in der Familie und in der Nachbarschaft, in Schule und Beruf. Und: Wir alle stehen auf einer Stufe, sind Teil der christlichen Familie, weil wir getauft sind.

Nicht durch gute Werke, Fürbitten der Heiligen und sakramentale Vermittlung durch geweihte Priester erlangt der Einzelne das Seelenheil, sondern es wird ihm allein aufgrund seines Glaubens geschenkt. Gott trägt uns nicht nach, was uns nicht gelingt, wo wir seinem Anspruch an uns nicht gerecht werden. Wir können aufrechten Hauptes Rechenschaft geben, von der Hoffnung des Glaubens, die uns hält und trägt.

„Sola Scriptura“, allein die Schrift. Ist es nicht genug? Doch, wenn wir nach der Schrift leben, haben wir alles was wir benötigen. Das ist unsere Stärke!

Amen.